Ich habe Weihnachten und den Jahreswechsel in Deutschland verbracht. Die Temperaturen von teilweise -10 Grad Celsius waren ganz schön anstrengend, aber wann immer ich irgendwo reinkam, war es auch wieder warm. In Kathmandu haben wir inzwischen die kältesten Tage hinter uns gebracht; draußen ist es eigentlich gar nicht unterträglich kalt, aber Heizung ist ein Luxusgut, das es hier so gut wie gar nicht gibt: Selbst die besseren Restaurants im Touristenviertel greifen auf Heizpilze zurück. Während wir eine in etwa konstant gleich bleibende Kälte kennen, ist der Temperaturenumschwung in Nepal relativ krass. Tagsüber in der Sonne erwärmt es sich auch an den kälteren Tagen noch bis zu 15 bis 18 Grad, aber sobald die Sonne weg ist, fallen die Temperaturen drastisch. Die undichten Fenster und die schlechte Isolierung bewirken, dass man die Nacht nur dick eingepackt im Schlafsack übersteht, morgen und abends bei der study time sitze ich in Winterjacke und mit Mütze und Handschuhen. Teilweise trage ich T-Shirt, Langarm-Shirt, zweites Langarm-Shirt, Fleecejacke, Jacke. Wenn es dann in der Sonne zu warm ist, müssen eben eine oder mehrere Schichten wieder ausgezogen werden. Die Kids sind viel ärmer dran – trotz Wollsocken aus Deutschland, die sie zu Weihnachten bekommen haben und einigermaßen warmer Mützen und Jacken frieren dennoch viele, insbesondere die Kleinen. Sie können sich zwar in den Pausen auch in der Sonne aufwärmen, aber die Klassenräume sind kalt; ein paar haben sogar Frostbeulen an den Füßen bekommen.
Alle bleiben guter Dinge. Weihnachten ist ein christliches Fest, aber genau wie es uns sehr wichtig ist, mit den Kids die hinduistischen Feste und hiesigen Traditionen zu feiern, dient es auch der Bildung, die an westliche Feste und Bräuche heranzuführen und sie damit vertraut zu machen, worin der Ursprung dieser Feste besteht. Da ich Weihnachten nicht vor Ort war, lasse ich an dieser Stelle einen Bericht bleiben, verschafft euch aber gern auf der Facebook-Seite des Vereins einen Eindruck vom Weihnachtsfest 2016.
Nachdem die Kids Anfang Januar ihre dritten Zwischenprüfungen bewältigen, sind neun Tage Ferien – gerade nach meiner Rückkehr. Die Praktikanten haben sich ordentlich ins Zeug gelegt und die Ferien richtig gut durchgeplant: Am Vormittag bietet jeder Praktikant einen Workshop an. Die Kinder dürfen sich einen aussuchen und werden entsprechend in Gruppen geteilt; nachmittags finden größere Aktiväten statt, mal alle Kids zusammen, mal Groß und Klein getrennt, unter anderem eine große Wanderung (siehe Foto oben). Am Ende der Ferienzeit präsentiert jeder Workshop bei einem kleinen Nachmittagsprogramm, was er auf die Beine gestellt hat. Hier ein paar Einblicke.
Hier außerdem noch ein paar Videoaufnahmen. Lasst euch besonders das letzte Video nicht entgehen, das der Film-Workshop von Jakob auf die Beine gestellt hat.
Erlebnispädagogik
Ich kann gar nicht oft genug betonen, wie beeindruckt ich davon bin, welcher Zusammenhalt zwischen den Kids besteht und wie die Streitereien auf ein Minimum begrenzt sind, denn schließlich sind hier alle brothers und sisters. Um so entsetzter bin ich, als ich nach ein paar Behördengängen fürs College nach Hause komme und erfahre, dass es unter zwei der größeren Jungs zu einer Schlägerei gekommen ist, wobei einer der beiden dem anderen ganz klar unterlegen war und regelrecht windelweich geschlagen wurde. Und das alles aufgrund einer völligen Nichtigkeit, die ich hier jetzt nicht breittreten will. Der Schock ist groß, denn gerade der Größere gehörte für mich stets zu den Ruhigen und Umgänglichen – jemandem, dem man eine solche Aggression und Gewaltbereitschaft gar nicht zutrauen würde. Aber ohne die Tat rechtfertigen zu wollen, genügt es nicht, das Ganze aus unserer deutschen Perspektive zu betrachten und wie man sich nach unserem Verständnis bei einem Streit verhält. In Nepal zeigt man Respekt vor einem Älteren – tut man das nicht, hat der Ältere das Recht, einen zur Rechenschaft zu ziehen, Gewaltanwendung ist völlig akzeptabel in der nepalesischen Kultur. Das lässt sich nicht einfach so ändern.
Jedoch liegt es uns am Herzen, den Kids ein erweitertes Verständnis von angebrachtem Verhalten im Streit mitzugeben, und eigentlich gelingt dies ja sehr gut, denn es handelt sich hier zum Glück um eine Ausnahmesituation. Immerhin wirkt der Ältere von seiner eigenen Tat ziemlich erschüttert und kann gar nicht fassen, was da in ihn geraten ist. Aber damit ist das Ganze nicht gegessen. Wie das Strafmaß aussieht und welche Konsequenzen das nach sich zieht, darauf möchte ich öffentlich gar nicht eingehen, aber die volunteers überlegen, wie wir aus der Situation das Beste für alle holen können. So nutzen wir den kommenden Samstagnachmittag für ein wenig Erlebnispädagogik. Da Nepalesen schon früh auf Wettkampf getrimmt werden und man gerade bei unseren, die wenig Spielraum für Individualität haben, merkt, wie vielen es wichtig ist, mit allen Mitteln zu gewinnen, bereiten wir ein paar Spiele vor, bei dem es um das Gegenteil geht: Alle müssen zusammenarbeiten. Alle sind der Sieger.
Abends nach dem Essen machen wir eine Auswertung. Sie Kinder sollen reflektieren, was gut und was nicht gut gelaufen ist. Sie sind äußerst einsichtig, was die Zusammenarbeit angeht. Sie merken auch, dass sie im Laufe der Spielzeit immer kreativer wurden. Wir schlagen gemeinsam schnell den Bogen, wie wichtig Einzeit und Zusammenhalt sind. Anna-Marlen hat beobachtet, wie „bäh“ es noch beim ersten Spiel war, dass sich Jungs und Mädels an den Händen halten mussten, wohingegen beim letzten Spiel es eine völlige Selbstverständlichkeit geworden war, weil sie ja wussten, dass die Gruppe in Berührung bleiben muss.
Mir ist bei dem zweiten Spiel noch ein Gedanke gekommen: Einer der Siebtklässler ist vor ein paar Wochen ins neue Haus gezogen, weil es immer wieder zu Reibereien mit ein paar der anderen Jungs kam, verschuldet von beiden Seiten. Er ist klein, dürr und im wahrsten Sinne des Wortes ein kleines Äffchen: Überall klettert er hoch, und das sehr geschickt. Die anderen ärgern ihn immer mit dem Spitznamen माउस („ma-usa“ = Maus), weil er sich wohl in jedem Loch verstecken könnte. Er wäre im Nu über das Tau geklettert und wiegt zudem noch einiges weniger als die Zwillinge oder Sudip, die ihr Glück probiert haben. Ich erkläre den Kids, dass sie das Spiel viel schneller geschafft hätten, wenn er noch bei uns im Haus wohnen würde, aber dass er eben jetzt drüben ist, weil es Probleme gab. Und dass es Situationen gibt, die sich schneller lösen lassen, wenn wirklich alle mithelfen – selbst jemand, mit dem man sich nicht gut versteht und von dem man gar nicht will, dass er Teil der Gruppe ist. In einer Familie hat jeder seine Aufgabe und jeder ist wichtig.
Natürlich wünsche ich mir, dass es nicht mehr zu solchen Vorfällen kommt. Ich will mich hier zu nichts anmaßen, aber mich hat es sehr schwer getroffen, dass zwei Kinder, die mir ja beide viel bedeuten, sich so zueinander verhalten – vielleicht ist das ein kleiner Einblick in etwas, was viele Eltern durchmachen müssen. Insofern bin ich froh, dass etwas Unschönes immerhin zu etwas Schönem führen konnte und alle eine Lektion fürs Leben dazulernen konnten.
Fußballfieber
Und wobei gibt es kaum einen größeren Zusammenhalt? Natürlich bei der gemeinsamen Liebe zum Sport. Sind die Kids hier bei uns auf dem Sportplatz teilweise auch große Rivalen, wenn jemand bei der Schulmannschaft mitspielt, wird er von allen unterstützt. Kurz nach Schulbeginn finden verschiedene Wettkämpfe statt, darunter ein großen Interhigh-Fußballturnier, bei dem auch die SEB School vertreten ist. Bishal, Ramesh, Umesh, Sunil und J.P. sind ebenfalls im Team. Ramesh macht außerdem bei der Leichtathletikmannschaft mit im 100-Meter-Lauf, 200-Meter-Lauf und Staffellauf; Khem Raj, Samjhana und Pooja ebenfalls.
Da sowohl am 29. schulfrei ist als auch am 30. (wegen eines Feiertags), fahren ein paar volunteers mit etlichen Fußballenthusiasten an den Stadtrand, wo das Turnier stattfindet. Begeistert feuern sie ihre Brüder an. Leider verliert die SEB School im Viertelfinale (ausgerechnet beim Elfmeterschießen), aber die Spieler freuen sich ungemein über die großartige Unterstützung. Beim Sprint belegt Ramesh den 2. Platz.
Beim Elfmeter schießen Ramesh, Bishal und Umesh jeweils souverän ein Tor. Nach dem 5:5 vergeigt leider ein Mitspieler seinen Schuss, weshalb die Gegner gewinnen.
Beim Sprint erreicht Ramesh (in Grün) den zweiten Platz. Auch die Mädchen schneiden später nicht schlecht ab (da mussten wir aber leider schon wieder zurück und konnten das nicht mitverfolgen).
Semesterabschluss
Nach einem ziemlich frustrierenden ersten Semester in Nepali hole ich mir mein Abschlusszeugnis ab, das mit fast 91% ziemlich überragend ist, aber die Prüfungskommission will mir nicht so recht glauben, dass es nicht meine eigene Leistung war, die dieses Ergebnis hervorgebracht hat. Munter labert sie mich auf Nepalesisch zu und möchte wahrscheinlich mehr über mich herausfinden, und ich kann immer nur auf Englisch entgegenhalten: „Sorry, I don’t speak Nepali. And I have no idea how this here happened.“ Was natürlich nicht stimmt, aber ich kann ja schlecht verkünden, dass mein inkompetenter Lehrer mir während der Prüfung die Hälfte der Ergebnisse vorgesagt hat. Wie es weitergeht, habe ich selbst noch gar nicht entschieden. Eigentlich hatte ich geplant, das erste Semester bei einem besseren Lehrer zu wiederholen, nun da das Ergebnis so gut ist, frage ich mich, ob ich nicht doch einfach das zweite Semester in Angriff nehmen sollte. Selbst wenn ich keinen Anschluss finde, weil ich so hinterherhinke, könnte ich einfach absichtlich durchrasseln und damit noch mehr Zeit schinden und weiß dann aber, was im zweiten Semester auf mich zukommt. So kann ich mich entsprechend darauf vorbereiten. Am 2. Februar findet die Einführungsveranstaltung statt (also wahrscheinlich, die offizielle Aussage der zuständigen Mitarbeiterin lautete: „Maybe February 2nd“), ich werde also mal hintrotten und dann eine Entscheidung treffen. Das Visum ist fürs kommende Semester auf jeden Fall verlängert, bis Ende Juli hat mich Nepal also weiterhin.
Namobuddha
Zum Abschluss heute ein paar Fotos von einem schönen Tagesausflug nach Namobuddha. Rajesh hat ja früher als Taxifahrer gearbeitet und einen Kumpel gefragt, ob wir dessen Taxi ausleihen können. Mit Gwen, Sarah und Charly geht es ungefähr 40 Kilometer östlich von Kathmandu zu einem heiligen Ort der Buddhisten, wo ein Stupa auf den Haaren und Gebeinen von Prinz Mahasattva errichtet wurde. Dieser opferte dort vor 6000 Jahren sein Leben und ließ sich von einer Tigerin und ihren fünf Jungen fressen und wurde dann in Lumbini als Siddharta Gautama wiedergeboren – dem Begründer des Buddhismus.
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Cordel (Dienstag, 31 Januar 2017 19:49)
Wundervoll wie immer, kleiner Bruder!!!
Mom (Dienstag, 31 Januar 2017 20:10)
Hallo, Benny, das ist wieder ein beeindruckender Bericht. Danke dafür! Habt allesamt weiterhin Spaß mit den kids. Ihr habt eine schöne Lösung gefunden, um Einigkeit zu lernen. Hab Dich lieb!
Papa (Dienstag, 31 Januar 2017 22:56)
Danke für deinen Bericht Benny, das gibt uns immer wieder die Möglichkeit ein wenig besser zu verstehen, was so alles bei euch los ist und auch welche Probleme es gibt. Ihr werdet sicherlich eine gute Lösung finden, wie diese Konflikte zwischen einigen Kids abzustellen sind. Aber im Vergleich zu Deutschland ist das alles ja recht harmlos. Danke für deine Arbeit, die du da leistest. Fühl dich gedrückt. In Liebe dein Papa.