Dashain

Ich habe es in den vergangenen Einträgen ja schon angekündigt: Die größten Feiertage in Nepal brechen an, manche sprechen auch vom „nepalesischen Weihnachten“. Dashain stellt im Hinduismus den Sieg der weiblichen Gotteskraft Durga über den Dämon Mahishasura dar, der in der Gestalt eines Büffels die Erde verwüstete. Man sagt, dass die Götter all ihre Kräfte vereinten und damit „Shakti“ erschufen, eine kosmische Urkraft, die dann die Gestalt einer wunderschönen Jungfrau mit zehn Händen und dem dritten Auge annahm: Durga. Sie bekam die Kräfte und Waffen aller Götter. Mit einem Löwen als Reittier (in manchen Überlieferungen war es ein Tiger) bekämpfte sie Mahishasura und tötete ihn schließlich. Die ersten neun Tage von Dashain symbolisieren den Kampf der beiden; der zehnte Tag, der Hauptfesttag, ihren Sieg als Büffeltöterin. Dashain ist für die Hindus der Sieg von Gut über Böse; man zelebriert, dass die Wahrheit letzten Endes stets siegen wird. Unzählige religiöse Rituale und Praktiken kommen zutage, vor allem ist es aber auch ein Fest der Familie: Kathmandu ist nahezu leergefegt, da es üblich ist, ins Heimatdorf zu fahren und das Fest dort zu verbringen. Fast alle Geschäfte haben geschlossen, außer im Touristenviertel, aber selbst dort sind die Öffnungszeiten trotz Hauptsaison kürzer. Die ring road ist so wenig befahren wie nie zuvor. Es stellt sich tatsächlich das Gefühl eines „Sonntags“ ein, den man hier ja so nicht kennt. Samstags sind zwar die Schulen und Universitäten geschlossen und größere Unternehmen ebenfalls, aber der Stadtverkehr ist derselbe wie an jedem anderen Tag. Die Sonntagsruhe, wie wir sie kennen, ist in Nepal nicht existent – bis jetzt. Für die Kinder beginnen die großen Ferien, insgesamt fünf Wochen, wobei sie zwischendurch anderthalb Wochen Schule haben, ehe dann die Tihar-Festtage beginnen, über die ich aber gesondert berichten werde. Die Elftklässer und Apartment-Jungs und -Mädels fahren in ihre Dörfer, ein paar wenige Kinder ebenfalls (von Subash und Sagar habe ich ja schon berichtet; ansonsten die Kinder der Hausangestellten). Ferien sind für uns volunteers natürlich immer ein wenig anstrengender, weil wir halt den ganzen Tag gefordert sind, aber wir verfolgen interessiert die Traditionen, die sich uns nach und nach entfalten, und finden es spannend, Teil des Ganzen zu sein.

Ganz traditionell wird im Hof des neuen Hauses eine große Schaukel aus Bambusstämmen aufgebaut. Jeder muss mindestens einmal schaukeln und damit symbolisch die Erde verlassen, um seine Sorgen und schlechten Gefühle abzuwerfen und auf geistiger Ebene zu genesen und neue Kraft zu tanken. Aber das neue Spielzeug ist natürlich auch einfach die Attraktion schlechthin und die Kids stehen buchstäblich stundenlang davor und warten darauf, endlich an der Reihe zu sein.


Der Hauptfesttag ist natürlich am spannendsten. Traditionell kaufen die Nepalesen neue Kleidung und ziehen diese an. Ein zuständiger Priester entscheidet die Uhrzeit, wann die Rituale für die Familie richtig sind – das Problem ist, dass man vorher nichts essen darf, und wenn er halt 12 Uhr mittags als Uhrzeit festlegt, muss man den Vormittag über hungern. Unsere Uhrzeit lautet 8:45 Uhr, das ist also akzeptabel, und ganz so streng wird’s eh nicht eingehalten, denn Milch und Kekse als Minisnack gibt es trotzdem. Dann ist Tika time. Das Familienoberhaupt (in diesem Fall Uncle) verteilt Tikas als Symbol, dass man in den kommenden Jahren reichlich gesegnet wird; außerdem ist die rote Farbe ein Symbol für die enge Beziehung innerhalb der Familie. Normalerweise erhalten die Jüngeren aus dr Familie von den Älteren auch Geld (bei uns nicht :D) und es ist die einzige Zeit im Jahr, wo es erlaubt ist, um Geld zu spielen. Ein Nepalese, mit dem ich mich auf der Straße unterhalte, berichtet mir stolz, er habe seine Freunde um 18.000 Rupien beim Pokern abgezockt, wofür ich jetzt nicht unbedingt große Bewunderung hegen kann. Andererseits zeigt es ja auch, dass in jeder Kultur (ist bei uns zu Weihnachten und Ostern ja nun ganz und gar nicht anders) bei manchen der kommerzielle Spaßfaktor die religiösen Hintergründe überwiegt. Ich konzentriere mich lieber auf den Aspekt der Familie. Den konkreten Ritualsverlauf erläuterte ich in den Bildunterschriften.


Raj Kumar hat uns zwei Dorfziegen besorgt, die nun ein paar Tage lang liebevoll versorgt werden, ehe sie an den Hauptfesttagen das Hauptgericht bilden. Dashain wird generell stark kritisiert, weil so unglaublich viele Tiere in dieser Zeit abgeschlachtet werden. Es ist so: Auf dem Land isst man ohnehin eigentlich gar kein Fleisch. Nutztiere wie Büffel, Kühe und Ziegen werden für die Milch gebraucht und sind sehr wertvoll, wenn dann gibt es mal Hühnchen, aber Vieh können sich nur wenige leisten. Dashain ist also die Zeit im Jahr, wo man sich im Dorf ausnahmsweise mal Fleisch gönnt. Aber das Problem ist, dass auch viele Tiere einfach so geschlachtet und den Göttern dargebracht werden, und das teilweise auf richtig grausame Weise. Da ja Mahishasura in Form eines Büffels getötet wurde, ist es in manchen Gegenden ist Sitte, einem ausgewachsenen Büffel den Hals einzuschneiden, die Pulsader rauszuziehen und mit dem Blut die Priester am Tempel zu bespritzen, während das Tier langsam verreckt. Das ist natürlich schlimmste Tierquälerei. Bei uns kann man zum Glück sagen, dass es sich um zwei Tiere handelt, die gut gehalten wurden und einen sehr schnellen und schmerzlosen Tod erleiden.

Immerhin muss ich sagen: Bin ja nicht so der Fan von Ziegenfleisch, weil’s irgendwie so leicht „stallig“ schmeckt, aber sowohl die Innereien als auch das eigentliche Ziegengulasch sind wirklich köstlich und sehr zart (erinnern an Wild), wenn man nicht gerade auf Knorpeln herumkauen muss. Ich genieße das Festmahl also in vollen Zügen.


Dashain time = picture time. Bin ja eher sehr zurückhaltend mit Selfies, aber es muss auch Ausnahmen geben. Da ich ohnehin so viele Fotos schieße, lasse ich mich auch gern dazu hinreißen, selbst Teil der Fotos zu werden. Es ist ein durchweg schöner Tag, die Kids freuen sich riesig über die Feierei, und warum soll die gute Stimmung nicht auf diese Weise festgehalten werden. :)

Die aktuelle Praktikantengruppe (ohne Sunil, Jan und Robert). Gwen (links neben mir) und ich haben letztes Jahr drei Monate zusammen verbracht und ich freue mich riesig über ihre Rückkehr. Die nächsten Praktikanten kommen erst im Januar.
Die aktuelle Praktikantengruppe (ohne Sunil, Jan und Robert). Gwen (links neben mir) und ich haben letztes Jahr drei Monate zusammen verbracht und ich freue mich riesig über ihre Rückkehr. Die nächsten Praktikanten kommen erst im Januar.

Die Ferien sind natürlich auch angefüllt mit vielen Aktivitäten, die so mit Dashain gar nichts zu tun haben, aber die Kids haben eben den ganzen Tag frei, und auch wenn sie sich freuen, nicht zur Schule gehen zu müssen, wird vielen doch schnell langweilig, weil sie nicht wissen, wie sie sich beschäftigen sollen. Da am Monatsende Ellen mit einer Reisegruppe zurückkehrt, wird ein Unterhaltungsprogramm vorbereitet, für das täglich Theater- und Tanzproben stattfinden. Und abgesehen von der Schaukel wird der Hof des neuen Hauses verschönert: Die beiden Beton-Tischtennisplatten werden angestrichen. Für die eine Platte ist ein neues T-Shirt von mir Vorlage, das ich mir in Pokhara zugelegt habe. Es zeigt Ganesh, einen hinduistischen Gott, der meist als beleibter Mann mit Elefantenkopf dargestellt wird, aber ein kleinwenig abstrakter als die klassische Darstellung. Für die andere Platte suchen Anton und Jakob ein Landschaftsmotiv heraus, das unser überaus begabter Kamal (der ja letztes Jahr schon die Weltkugel auf dem Fußballplatz im alten Haus vorgezeichnet hatte) an die Wand bringt. Beim Ausmalen helfen dann alle, aber sehr geordnet, denn gerade die Kleinen greifen auch gern mal nach der Farbe und schmieren sie überall hin, nicht zuletzt auf sich selbst. An die Wände des Schuppens beginnen die größeren Mädchen mit einer Waldlandschaft, außerdem sollen dort die Handabdrücke aller Kinder hin, und an das Toilettenhäuschen soll noch eine Unterwasserlandschaft kommen. Es ist also viel zu tun, und alle haben Spaß. Klickt euch einfach durch die Galerie (ist größtenteils selbsterklärend, daher kaum Bildunterschriften).

Für das besagte Festprogramm am Monatsende bereitet unser großes Tanztalent Ramesh etwas mit den kleineren Jungs ein. Ramesh fragt mich, ob ich ein cooles Lied kenne, wozu er einen Tanz einstudieren kann. Da ich seit Jahresbeginn kaum noch etwas anderes höre als den Broadway-Smashhit Hamilton, wähle ich einen der signature songs aus, kürze ihn etwas und stelle ihn den Jungs vor. Ramesh entwickelt schon beim Zuhören eine Choreographie. Äußerst geduldig zeigt er den Jungen die Schritte. Anna-Marleen, die ebenfalls Tanzerfahrung hat, greift ihm ein wenig unter die Arme. Das Ergebnis ist echt super, und sie konnten den Tanz schon vor ein paar Besuchern bei einem Samstagnachmittagprogramm präsentieren.


Last but not least, wenn auch nicht wirklich mit Bezug zu den Festtagen: Vor ein paar Wochen war Bigyan bei uns im Haus, ein Nepalese, der seit zwei Jahren in Thüringen wohnt und fürs Regionalfernsehen arbeitet. Er hat Aufnahmen von uns gemacht und diesen kleinen Beitrag zusammengeschnitten. Werbung schadet nie, also schaut ihn euch gern an und leitet ihn an Freunde und Bekannte weiter. Je mehr vom „Haus der Hoffnung“ erfahren, desto gesicherter ist die Zukunfts dieses wundervollen Projekts.

Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    Ellen Dietrich (Donnerstag, 13 Oktober 2016 09:20)

    Lieber Ben,
    danke für diesen sowohl inhaltlich als auch von den Bildern her sagenhaft schönen Beitrag. Ich habe Dashain und alle Ferienaktivitäten im Haus so richtig miterlebt. Ich kann nachfühlen, wie viel Freude und Spaß alle bei diesem Fest und den Aktivitäten haben bzw. hatten. Schön, dass so viel mit den Kindern gemacht wird.
    Liebe Grüße Ellen