Also ich habe Zahnarzt als Kind gehasst. Noch immer gehe ich äußerst ungern. Und mir haben meine Eltern beigebracht, dass man halbjährlich gehen sollte – und jedes Mal diese elende Ungewissheit, ob alles in Ordnung ist oder nicht. Im April haben wir zwanzig neue Kinder bekommen, die vorher wenig bis gar keine Zahnpflege gekannt haben. Überhaupt gehört das Zähneputzen zwar zum Alltag dazu (zweimal täglich nach dem Essen) und speziell bei den Größeren war ich von Anfang an ziemlich überrascht, wie weiß das Gebiss grundsätzlich ist (was sicherlich auch daran liegt, dass man hierzulande weitaus weniger Zucker konsumiert als bei uns), aber Technik beim Putzen kennt hier keiner, man besitzt nicht einmal eine eigene Zahnbürste, sondern man nimmt halt die nächstbeste (was echt pfui ist, nun aber geändert werden soll).
Dr. Wanda Ast, Mitte 50, ist eine Zahnärztin aus Duisburg, hat ihre Praxis verkauft und ist dort nun selbst angestellt. Einmal im Jahr kommt sie für vier Wochen nach Nepal und ist am Sushma Koirala Memorial Hospital (eigentlich eine Klinik für plastische Chirurgie, ungefähr eine Autostunde aus Kathmandu raus) ehrenamtlich tätig. Ellen ist mit ihr bereits bekannt, und so teilen wir die große Kinderschar in zwei Gruppen und fahren in zwei Schüben hin.
Ich bin nur das zweite Mal dabei (beim ersten Termin soll ich angeblich College haben, bwahaa) und sehe nach dem ersten Besuch nur das Ergebnis: 28 gezogene Zähne und eine Horde kleiner Menschen, die nach der Ankunft daheim fix und fertig auf der Bank sitzt und noch gar nicht richtig verstanden hat, was da gerade über sie gekommen ist. Loni und Sassi berichten, dass das Geschrei wohl ziemlich groß gewesen sein muss; die volunteers wären stark gefordert worden – sie saßen mit im Behandlungsraum und haben davor, dabei und danach getröstet. Mich erwischt es ein bisschen besser, da die Gruppe, die ich begleite, vor allem aus den Größeren besteht und ich davon ausgehe, dass sie die Behandlung mit etwas mehr Fassung tragen (was sich dann auch glücklicherweise bewahrheitet). Hinzu kommt, dass die erste Gruppe wie bereits gesagt größtenteils aus neuen Kindern bestand, die ihr ganzes Leben noch nie beim Zahnarzt waren und dementsprechend versorgt werden mussten.
Die Klinik ist wunderschön gelegen. Überall grüne Reisfelder, und die Kinder würden die Aussicht wohl auch sehr genießen, würden sie nicht darum bangen, was da auf sie zukommt. Zunächst stürmen sie vor den Augen erstaunter Patienten auf den Spielplatz und toben sich aus, während nach und nach alle zur Rezeption müssen, um sich zu registrieren. Eine Situation, die besonders zu Herzen geht: Als die Kinder spielen, kommt schüchtern ein kleines Mädchen dazu. Sie hat furchtbar schlimme Verbrennungen am ganzen Körper, das Gesicht ist kaum noch zu erkennen: kaum noch Haare, beide Ohren nur noch Löcher am Kopf. Ihre große Schwester hält sie an der Hand. Die Kids starren sie erst einmal verwundert an, aber Glenn reagiert vorbildhaft: Er geht auf das Mädchen zu, stellt sich vor, reicht ihr die Hand. Zaghaft setzt setzen sie und ihre Schwester sich auf eine der Bänke, wo auch ein paar Kids sitzen, die übrigen widmen sich wieder dem Spielen. Diese Bilder werde ich wohl nie vergessen, jedoch wollte ich auch keine Fotos schießen, denn die Arme hat bestimmt genug darunter zu leiden, von allen Seiten begafft zu werden.
Kurz vor 9 Uhr beginnen die Behandlungen. Wir gehen (in etwa) nach Alter vor. Schnell meint Ellen, dass es sehr viel rascher vorangeht als beim letzten Mal – tatsächlich ist bei vielen Kids alles in Ordnung. Anish und Birshana bekommen jeweils einen Zahn gezogen und ertragen das Ganze einigermaßen gut. Bei Bikash ist die Lage etwas prekärer – er war nämlich vorige Woche schon mit und weiß, dass er erneut behandelt werden muss. Er ist schon eine Weile bei uns, aber sein Gebiss ist leider äußerst schlecht, und wenn er breit grinst, sind die vielen schwarzen Stellen überall erkennbar. Auch heute muss ihm ein völlig verfaulter Milchzahn gezogen werden. Schluchzend stolpert er aus dem Behandlungszimmer in meine Arme und braucht eine gute halbe Stunde, ehe er sich beruhigt hat. Auch Sandhya, die bereits den ganzen Vormittag immer wieder betont, dass sie große Angst hat, weint bereits vorher. Ellen hält ihr von links die Hand, ich von rechts. Dr. Wanda ist klasse: Sie lässt sich überhaupt nicht davon beirren, wie viele weitere Personen im Behandlungsraum sind. Teilweise dürfen auch ein paar Kinder rein und zuschauen (was allerdings der Aufregung nicht sonderlich förderlich ist). So behandelt sie Sandhya in aller Ruhe, während die Kleine am ganzen Körper zittert. Zwei Löcher müssen ihr gemacht werden. Sie steht es tapfer durch, erst als sie fertig ist, beginnt sie herzzerreißend zu weinen, sicherlich eine Mischung aus Posttrauma und Erleichterung.
Wie zu erwarten machen die Großen souverän mit. Der kleine Navaraj hat furchtbare Parodontose und zudem ist ihm am Unterkiefer einer der Vorderzähne abgefault. Er ist angespannt, verzieht aber keine Miene und schon als er vom Behandlungsstuhl aufsteht, grinst er wieder. Belohnt werden die Kinder mit einem reichhaltigen und sehr leckeren Dal Bhat, außerdem befindet sich in der Nähe ein Fluss, wo viele hinstürmen, sich bis auf die Unterhose ausziehen und reinspringen. (Im Nachhinein haben wir erfahren, dass der Fluss wohl etwas verseucht ist. Na ja, schade.)
Talentshow #2
Mit Caro erreicht die vorerst letzte Praktikantin des ersten neuen Schwungs die Einrichtung (die nächsten folgen Mitte September). Eine Woche nach der großen Talentshow sitzen alle Kids erneut im Hof des neuen Hauses – diesmal haben auch sie selbst allerhand, was sie präsentieren wollen. Ich habe immer nur so eine halbe Minute aufgenommen, damit ihr einfach mal reinschnuppern könnt. :)
Prakash und Janak präsentieren auch noch einmal ihre Mini-Vorträge vom Debattierwettbewerb in der Schule, mit denen sie den ersten bzw. zweiten Platz belegt haben (ich berichtete auf Facebook). Am selben Tag zeigen mir auch Ashok und Rapten stolz ihre Urkunden und Medaillen vom Basketballturnier, bei dem sie immerhin den dritten Platz belegt haben.
Am Freitagabend lassen wir das Dal Bhat mal Dal Bhat sein und weihen unsere mit frischem Inventar und neuem Geschirr bestückte Küche ein. Pfannkuchen stehen auf dem Speiseplan – und mir fällt ein, dass ich seit April noch ein Glas Nutella im Koffer habe, das ich immer für einen speziellen Anlass aufbewahren wollte, der nun endlich gekommen ist. Loni bereitet ein vorzügliches Apfelkompott mit Zimt vor und steht mit Sassi stundenlang in der Küche, es duftet herrlich. Kaum einer bekommt genug von dem Festschmaus, den wir genüsslich vertilgen. Robert, Anton und Glenn haben sich abgeseilt, weil sie lieber in Thamel feiern wollten (kamen allerdings dann doch schnell heim, nachdem sie Augenzeuge davon wurden, wie ein Türsteher einen Besoffenen die Treppe runterschmiss, dessen Arm dann 45° in die falsche Richtung abstand).
Auf dem Foto von links nach rechts: Anna-Marleen, Caro, Bella, Sassi, Loni, Rajesh, Aileen, Tessa, Anna, Franka
Das war’s für heute. Ach, und ich hoffe, dass der hier nie, nie, niemals groß wird. :)
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