… sind nur ein Punkt von vielen, an die ich mich in den kommenden Wochen und Monaten werde gewöhnen müssen. Aber von vorn.
Ich fliege mit Turkish Airlines über Istanbul nach Kathmandu. Planmäßiger Aufenthalt in Istanbul waren vier Stunden, die einfach mal auf acht verlängert werden, was etwas anstrengend ist. Der Flughafen ist glücklicherweise nicht völlig überlaufen, aber einen wirklich bequemen Platz für acht Stunden findet man auch nicht. Und wenn man dann mal eindöst, geht der Lautsprecher an und eine Dame, die verdächtig nach Asian reporter Tricia Takanawa klingt, reißt mich aus den Träumen. Im Flugzeug selbst komme ich glücklicherweise schnell zur Ruhe, werde dann aber buchstäblich um 1 Uhr nachts aus dem Schlaf gerissen mit der Frage: „Chicken or meat?“ Immerhin servieren Turkish Airlines Mahlzeiten, die direkt in die Kategorie „lecker“ verbucht werden können.
Die Sicht aus dem Flugzeug ist leider nicht überragend, aber die im diesigen Wetter angedeuteten Berggipfel trotzdem beeindruckend. Sonnige 26°C erwarten mich schließlich nach der Landung, und Pia (Praktikantin seit 2 Monaten) und Manu (Praktikant seit vier Wochen) machen mich auch gleich ausfindig. Per holprige Taxifahrt (Hupen gehört zur nepalesischen Autofahrkultur, Verkehrsregeln hingegen nicht) geht es zum Haus nach Dhapasi.
Es ist nämlich so. Es gibt zwei Häuser – eines in Dhapasi (hier sind die älteren Kinder untergebracht, also so ab 12), einen Fußmarsch von 25 Minuten entfernt noch eines Gongabu, wo die jüngeren Kinder wohnen und betreut werden. (Eigentlich gibt es auch noch ein drittes mit Apartments für die mittlerweile erwachsenen Kinder, die inzwischen aufs College gehen.) Mein Zimmer, das ich mir im Laufe der Zeit mit bis zu drei anderen Jungs teilen werde, ist in Dhapasi, wo genau ich eingesetzt werde, steht noch nicht ganz fest. Die größeren sind wohl schon recht selbständig, die jüngeren brauchen noch mehr Hilfe, auch beim Lernen.
Kathmandu ist vor allem eines: ziemlich verdreckt. Die eher kleinen Häuser haben schäbige Fassaden und sind teilweise mit Kabelsalaten verbunden, die darauf schließen lassen, dass hier jeder sein eigener Elektriker ist. Die Stadtstraßen sind gut gemeinte Feldwege mit etlichen Schlaglöchern, auf die aber kein Verkehrsteilnehmer Rücksicht nimmt. Beim Atmen merkt man vom Smog nicht unbedingt etwas, aber wenn man dann die Nase schnaubt, tja, da sind die Popel dann schwarz.
Das Haus in Dhapasi besteht aus einem kleinen Bolzplatz neben dem Hof, im Erdgeschoss befindet sich der „Study Room“, der gleichzeitig Esszimmer ist. Hier sind auch zwei Schlafzimmer für Praktikanten, eines für Mädchen, eines für Jungs. Oben gibt es einen „Play Room“ mit Fernseher und verschiedenen Gesellschaftsspielen und weiteren Freizeitmöglichkeiten, auch die Schlafzimmer der Kinder befinden sich hier. Wie unsere Zimmer sind sie spärlich bekleidet – außer Hochbetten ist eigentlich nichts drin. Die Kinder haben auch kein Eigentum – es gibt keine Bilder an den Wänden, keiner hat ein eigenes Kuscheltier. Alles, was hier vorhanden ist, gehört allen gemeinsam.
Das Erstaunliche ist, dass ich es gewohnt bin, in der Frankfurter Innenstadt in der im Konsum erstickenden westlichen Gesellschaft in grimmig dreinschauende Gesichter zu blicken, wohingegen hier jeder nett lächelt. Die Leute strahlen was aus. Haben positive Energie. Haben also eigentlich nichts, aber eben das Wesentliche im Leben.
Manu und Pia führen mich durchs Haus, aber ich stelle letztlich nur meinen Koffer ins Zimmer, dann fahren wir mit dem Minibus nach Thamel, das Touristenviertel. Minibusse sind genau das: Minibusse mit drei Sitzreihen. Zu klein, um darin zu stehen. Sogar für die kleinen Nepalesen. Was niemanden stört, denn in diesen Bussen gibt es kein „voll“. Ständig hält der Bus an und es wird voller. Bis jeder jedem auf dem Schoß sitzt und in unnatürlicher Haltung seinen Platz gefunden hat. Eine Sardinenbüchse im wahrsten Sinne des Wortes. Also eigentlich 7 Sitzplätze, aber wir waren da mit mindestens 20 Personen drin. Das muss man erstmal schaffen.
Wir sind ein wenig durch die Straßen gelaufen, die einander (zumindest in diesem Teil der Stadt) sehr ähnlich sehen. Die Geschäfte, auch die Supermärkte, sind sehr klein. Es gibt deutsche Bäckereien („Weizen Bäckerei“) und alles ist spottbillig. Außer Alkohol und deutscher Schokolade. So holen wir uns was zu Mittag im OR2K (or = Licht, also „Light to Kathmandu“), einem charmanten auf Touristen angelegten Lokal, wo man die Schuhe aussieht und sich in eine auf Unterschenkel höhe platzierte Polsterlandschaft mit ein paar Tischen dazwischen begibt. Ich esse ein fantastisches Naan, so heißt das hiesige Fladenbrot, mit Hummus, das mit Pilzen und Zwiebeln verfeinert wurde. Dazu ein erfrischendes Bananen-Lassi. Für insgesamt umgerechnet 4 Euro. Oh, hier werde ich es mir die nächsten Monate noch gut gehen lassen!
Wieder zurück (auf der Rückfahrt waren wir wohl noch ein paar Busgäste mehr) sind die Kinder eingetroffen und beäugen mich neugierig. „Whatʼs your name, uncle?“, fragen sie mich. So sprechen die Kinder die Praktikanten, die „volunteers“, nämlich an, mit „Uncle“ oder „Auntie“. Die größeren Kinder sagen wohl manchmal auch „Brother“ oder „Sister“. Da „Uncle Ben“ doch sehr nach Reis und Spider-Man klingt, habe ich von vornherein beschlossen, vorerst zu Benny zurückzukehren. Für die Schule haben die Kids heute schon gelernt, es sind nämlich Examensvorbereitungen, weil das Schuljahr fast vorüber ist. Die Kinder haben also weniger Unterricht. Ich pflanze mich also direkt in die gemütliche Runde von vier Kids, die Phase 10 spielen. Es dauert ein kleinwenig, bis sie meinen Sarkasmus durchschaut haben, dann geht die Post ab und wir haben sehr viel Spaß. Ein Mädchen fragt: „How long will you be here, uncle?“ Ich erwidere: „Five months.“ Sie sagt: „You will make us laugh so much in that time!“ Das ist doch ein schöner Start.
Abends gibt es mein erstes Dal Bhat. Das nepalesische Nationalgericht gibt es hier zum Frühstück und zum Abendessen. Bei dem Linsengericht mit Reis variiert letztlich das Gemüse, heute Blumenkohl. Es ist superköstlich – und es wird komplett mit der Hand gegessen. Nicht nur das: Die linke Hand gilt als unrein, erklärt mir Pia gleich, als ich beginnen will, daher müsse auch ich auf rechts ausweichen. Also mit der Hand Reis und Soße zu verspeisen, ist schon mal eine Herausforderung für sich, dann noch mit der falschen … Aber: Irgendwie gehtʼs ja. Und Durchfall hatte ich bislang auch noch nicht!
Klingt schon mal nach einem guten Start, oder?
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Bass von Damals (Dienstag, 24 März 2015 16:05)
Hallo Benny,
ich werde verfolgen was du schreibst! Alles Beste den Kinder und dem Onkel!
LG, SG
Ann-Kristin Iwersen (Dienstag, 24 März 2015 16:46)
Hey Ben, natürlich werde ich auch alles peinlich genau verfolgen - und voller Sehnsucht... noch kommt Dir Kathmandu dreckig vor, aber believe me, you'll learn to love it. Geh' unbedingt in die French Bakery in Thamel, falls es Dich mal nach was Europäischem gelüstet. Okay, unwahrscheinlich. :-) -- Kris
Julia (Dienstag, 24 März 2015)
Liest sich schon mal echt genial. Das mit der Busfahrt kommt mir so bekannt vor. :)
Die Kids werden sich sowas von lieben. Danke für die kleinen Einblicke.
Lieben Gruß.
Julia
Gabi (Dienstag, 24 März 2015 18:40)
Was für ein Start! Gleich rein ins ungefälschte Leben, so muss es sein. Wie schön, dass dein Humor dich überall hin begleitet. Und bestimmt kriegst du auch noch raus, wofür du das schlechte Händchen benutzen darfst. LG, deine sis
Jan (Dienstag, 24 März 2015 19:31)
Schön, dass du heil dort angekommen bist und schon ein paar positive Eindrücke sammeln konntest. Lass es dir gut gehen und schreib, wenn du weißt, wann du eine Tour machen möchtest.
LG, Jan
Tinytoe (Dienstag, 24 März 2015 20:29)
Oh, einfach toll zu lesen, scheint ja wirklich ein toller Start zu sein.
Das die Kids dich schnell ins Herz schließen war mir völlig klar! :-*
Das mit den Bussen kenne ich aus Ägypten auch dort ist es nicht viel anders! ;-)
Frei mich auf weiter Berichte!
Take care! :-*
Mj (Dienstag, 24 März 2015 22:48)
Der erste Blog den ich lese in meinem Leben :) und rabiat natürlich deiner und ich muss sagen; schwer unterhaltsam. Ich freu mich auf mehr! Küssi Spider ben! Deine Mj
BigSis Anja (Mittwoch, 25 März 2015 14:59)
Hey, liebster Bruder,
das klingt alles sehr interessant! Wie eine Mutti bin ich auf jeden Fall erst mal beruhigt, dass du was Ordentliches zu essen bekommen hast... Bei einigen Informationen weiß ich nicht, ob ich ruhig sein kann (Straßen, Bus, schwarze Popel...). Na ja, letztlich wird dir "dies alles Erfahrung bringen und zum Guten dienen" - haben wir gerade heute Morgen im Seminar gelesen!
Fühl dich gedrückt von deiner großen Schwester Anja
Brusten (Samstag, 28 März 2015 15:17)
Schön, von dir zu hören ... und dass du so authentisch bist.